Recording, Mixing und Mastering: Tonstudios sind ein wesentlicher Bestandteil der Musikbranche und unabdingbar für eine Kulturszene, die über Proberaumaufnahmen hinausgehen möchte. Über die letzten anderthalb Jahre haben wir Euch mit der Artikelserie „Klangspuren“ regelmäßig Tonstudios aus der Darmstädter Musikszene vorgestellt. In der vorerst letzten Folge werfen wir noch einmal den Blick in die Weststadt.
Hier verbirgt sich in einem Kellergeschoss im Industriegebiet der Mainzer Straße die Klangkantine. Früher die Essenskantine eines Automobilherstellers, heute ein modernes Audioproduktionshaus. Die alte Halle mit Speisesaal und Küche ist inzwischen umfunktioniert zu einem circa 500 Quadratmeter großen Komplex aus Aufnahme-, Regie- und Büroräumen, die neben Instrumenten und Aufnahmetechnik auch mit allerlei stilvollen Vintage-Möbeln und gemütlichen Lampen ausgestattet sind. „Jedes Instrument und jedes Möbelstück hier hat seine eigene Geschichte“, erzählt Geschäftsführer Chris Kling. Das alte Loch in der Wand zum Durchreichen der Essensausgabe wurde mit einer Glasscheibe geschlossen. Da alle Räume miteinander verkabelt sind, kann auch überall Musik aufgenommen werden – dank der Fenster sogar gemeinsam mit Blickkontakt trotz Schallisolation. Für die neuen Räume hat man kurzerhand neue Wände in die Halle eingezogen. „Hier kam kein Raumausstatter vorbei und hat alles so eingerichtet. Das hat sich über die Jahre so entwickelt“, erklärt Chris.
Hörbücher, Hörspiele, Podcasts
Mit all diesen Renovierungen und Ausbauten, zuletzt während der Coronapandemie, sei die Klangkantine schließlich zu dem geworden, was sie heute ist: ein Audioproduktionshaus, das eigentlich mehr als ein Tonstudio im herkömmlichen Sinne ist. Denn neben dem Recording, Mixing und Mastering von Musik ist man mittlerweile auch ein bedeutender Player für Hörbücher und Hörspiele in Deutschland geworden. So beliefere man in der Branche quasi „alle Verlage, die man in Deutschland so kennt“, erzählt Chris. Und auch viele Podcasts produziert das Studio inzwischen. Das Besondere dabei: Die Klangkantine dient nicht nur als Aufnahmeort, sie fungiert bei ihren Produktionen oft auch als Agentur mit redaktionellen Dienstleistungen. Das kann vom Projektmanagement über die konkrete Themenausrichtung bis hin zur Konzeption reichen. Die meisten Produktionen auf dem Markt müssen ein Studio suchen, das aktuell Produktionskapazitäten hat, gleichzeitig aber auch alle redaktionellen Aufgaben bewältigen (oder hierfür ebenfalls externe Agenturen suchen). „Bei uns ist das alles inhouse“, macht Chris klar. „Unsere Stärke ist, diese konzeptionellen Fragen auch mitzudenken.“
Ab der ersten Idee
Dafür bereit steht ein Team aus mittlerweile über 30 Angestellten und Freelancern. Viele davon arbeiten überwiegend remote; circa acht Mitarbeitende sind aber immer fest vor Ort. Seit 2015 ist auch Chris‘ Frau Mariella im Team, die man in Darmstadt als Musikerin Ella Fall (oder ehemals: Masheé) kennt. Durch das große Team können mehrere Produktionen gleichzeitig begleitet werden; wenn gewünscht von der ersten Idee bis hin zur Veröffentlichung des Endprodukts. Neben Musik, Hörbüchern, Hörspielen und Podcasts betrifft das auch Sounddesigns und Projekte im Bereich Audio Identity – das volle Spektrum der Audiobranche eben. So hat man unter anderem schon mit Firmen wie Merck, Telekom, Fraunhofer und Mercedes zusammengearbeitet.
Angefangen hat alles 2008 mit ein paar Kumpels, mit denen Chris sich die Räumlichkeiten noch als Proberäume teilte. „Mit unserer Band I like James hatten wir auch ein bisschen Equipment, um unsere Songs aufzunehmen“, erinnert er sich. So seien die Räume mit der Zeit immer mehr zum Studio geworden. Zuerst konnte Chris sein Magisterstudium davon finanzieren, schließlich brach er es sogar ab, weil nicht mehr beides gleichzeitig ging und in der Klangkantine gerade eine großes Projekt mit dem maledivischen Tourismusministerium lief.
Klangfarbe durch Röhrenfärbung
Seit dem ersten Equipment der Teenie-Band hat sich viel getan. Heute arbeitet die Klangkantine hochmodern, komplett cloudbasiert, mit mehreren Servern und mit „total recall“ – was bedeutet, dass man alle Arbeitsschritte im Produktionsprozess auch wieder rückgängig machen kann. Trotzdem kommt beim Recording auch diverse Röhrentechnik zum Einsatz. Chris schwärmt von den analogen Klängen seiner Neumann U 47- und U 67-Großmembran-Kondensatormikrofone, seines STA-Level Röhrenkompressors und den Rhodes Pianos, Orgeln, Synthies und Klavieren, die im Studio stehen. „Wir versuchen den Klang direkt schön und gefärbt einzufangen und dieses ‚fix-it-in-the-mix‘ zu verhindern“, erläutert Chris. „Die meisten Vocals, die wir aufnehmen, EQen wir kaum noch.“ Grund dafür sei die Klangfarbe, die schon von vornherein durch die Auswahl von Mikrofon, Frontend-Geräten und Channel Strip (Kanalzug mit Vorverstärker, Kompressor, Equalizer, et cetera) entstehe. Und abgesehen davon, dass man bestimmte Klangeigenschaften der Röhrenfärbung schlichtweg nicht haargenau nachahmen könne, sei dieser Arbeitsweg auch leichter, intuitiver und schneller.
Internationale Studiokonzerte
Egal ob Rock, Indie oder Pop: Der Fokus in der Musikproduktion liegt bei der Klangkantine also vor allem auf „Handgemachtem“. Das sei zwar ein weites Feld, meint Chris, wichtig sei ihnen jedoch, dass es „irgendwie organisch klingt“. In Darmstadt genossen in der Vergangenheit etwa Bands wie Electric Horseman (Indie/Folk/Alternative Rock) oder Beni Fahr (Pop/Electronic) den warmen Klangkantine-Sound. Während man in der weiteren Umgebung etwa mit Musik- und Internetstars wie dem Rapper Haftbefehl oder den Youtubern Die Lochis zusammenarbeitete, sind die meisten Kooperationen mit Künstler:innen international. So gab es etwa Projekte mit Grammy-Gewinner Al Di Meola, Ryan Tedder (Sänger von One Republic) sowie Sharon Corr (Geigerin von The Corrs); etwa, wenn sich diese zur Vorbereitung auf eine anstehende Tour für ein paar Tage in die Klangkantine einmieten.
Highlights waren außerdem immer die Studiokonzerte, die es seit 2011 gab: „Das hat angefangen mit Akustikkonzerten auf einer Bühne im Studio, mit Sitzkissen überall und einer ganz besonderen Atmosphäre“, erinnert sich Chris. Beleuchtungstechnik und PA seien schließlich schon vor Ort gewesen. Ein kleiner Eintritt für die Künstlergage sei erhoben worden, es gab Catering – alles einfach aus Spaß. „Oft hatten wir große Künstler da, die auf Tourpausen hier campiert haben“, erzählt er weiter. „Zum Beispiel Trixie Whitley aus New York, die gerade mit ihrem Produzenten Daniel Lanois (unter anderem Bob Dylan, U2) unterwegs war. Oder auch Jono McCleery, der extra aus London hergeflogen ist, um hier ein Konzert zu geben.“ Seit der Coronapandemie sei dieses Live-Format in der Klangkantine etwas ausgestorben, doch wolle man in Zukunft die Studiokonzerte wieder aufleben lassen.
Eigene Software für Hörbücher und Hörspiele
Am Anfang bestand das Klangkantine-Management neben Chris noch aus einem weiteren Freund aus Musikerzeiten, Johannes Schwenk. Dieser stieg zwar mit der Zeit immer weiter aus, um die Freude am Hobby zu wahren, unterstützt die Klangkantine nun jedoch wieder als Entwickler für Softwareprojekte. Denn: Gerade im Bereich der Hörbuchproduktion hat das Studio hier inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal. „Ein Hörbuch ist ja meistens etwa zehn Stunden lang und das ist einfach sehr viel Arbeit in der Produktion – vor allem im Schnitt“, erklärt Chris. So habe man schon vor vielen Jahren begonnen, sich effiziente Workflows für die Arbeitsabläufe zu überlegen, die gleichzeitig auch eine gewisse Qualitätssicherung garantieren. Und es ist eine eigene Software für die Produktion von Hörbüchern und Hörspielen entstanden samt umfassender Datenbank von Sprecher:innen.
Einen Teil des Programms stellt man unter dem Namen Narrafix auch anderen Studios zur Verfügung: eine Software, die automatisch Hörbücher aus Rohaufnahmen schneidet. Die Resonanz hierauf sei groß. Das Ganze funktioniere nicht mit einer KI, sondern einem komplexen Algorithmus – trainiert mit den Erfahrungswerten der Klangkantine aus den letzten Jahren. So ist inzwischen – quasi nebenbei – auch noch eine eigene neue Softwarefirma entstanden.
Ein weiteres aktuelles Projekt ist der stetige Ausbau der Studioräume. In einem Seitenflur des Kellerkomplexes ist bis heute noch ein Proberaum an Darmstädter Bands vermietet. Früher waren es einmal mehr, doch oft, wenn eine Band kündigte, wurde der frei gewordene Raum für Studioarbeiten umfunktioniert. Und wenn doch einmal zwischendrin Zeit und Platz in der Klangkantine ist, kommen auch gerne mal Kindergeburtstage, Firmenfeiern oder Junggesellenabschiede für eine lustige Musikaufnahme ins Studio. „Alle, die hier sonst so sind, haben natürlich immer riesenhohe Ansprüche und nehmen die Arbeit super ernst“, sagt Chris. „Da haben wir dann auch unseren Spaß dran, wenn hier zur Abwechslung mal so eine Schar Kinder vorbeischaut.“
Klangspuren-Steckbrief
Wer? Chris Kling + Team von circa 30 Leuten
Fokus? Musikproduktion, Hörspiele, Hörbücher, Podcasts, Sounddesign, Audio Identity, Software
Besonderheiten? Großes Team, redaktionelle Agenturleistungen, eigene Produktionssoftware, umfassende Sprecher:innen-Datenbank
Wen aufgenommen? unter anderem Electric Horseman, Beni Fahr, Maryanna Devlin, Anna Maria Kaufmann und Lina Maly
Kontakt und Website? klangkantine.de, studio@klangkantine.de, (06151) 8602571














