Im Bienengarten am Bürgerpark herrscht an diesem Morgen emsiges Treiben. Überall summt und brummt es, drei Hennen scharren in einem Auslauf, die Ameisenlöwen vertilgen zufrieden ihr Frühstück. Blumenduft liegt in der Luft und es wäre nicht überraschend, wenn Pettersson und Findus plötzlich um die Ecke kämen, um zu einem Stück Pfannkuchentorte einzuladen. Dieser Ort ist nicht nur ein kleines Paradies mitten in der Stadt, sondern auch der Arbeitsplatz von Annika Heinzelmann (28) und Filip Kiefner (29). Sie imkern.
In die Imkerei seien sie „so reingestolpert“, erzählen die beiden. Nach ihrer Studienzeit (Annika: Umweltmanagement, Filip: Agrarwissenschaften), wollten sie eigentlich ein Gartenbauprojekt starten. Am liebsten auch mit Bienen. „Wir hatten da eine ganz unbedarfte Vorstellung von. Nach dem Motto: Imkerei, das ist nicht so viel Aufwand. Das kann man easy machen“, erinnert sich Annika. Also nehmen sie 2021 Kontakt zum Darmstädter Imker Stefan Fuchs auf. Zeit, bei ihrem Gartenprojekt mitzumachen, hat er nicht. Dafür aber zwei freie Plätze in seinem Imkerkurs. Kurzerhand entschließen sich Filip und Annika, daran teilzunehmen.
Imkern für Anfänger
Zwölf Monate dauert der Kurs, denn es soll alles vermittelt werden, was im Laufe eines Jahres für die Bienen getan werden muss. Jeder kümmert sich dabei um seinen eigenen Ableger, also den abgetrennten Teil eines Volkes, der groß genug ist, um selbst zu einem eigenständigen Bienenvolk heranzuwachsen. Wenn sie von Stefans Imkerkurs erzählen, strahlen sie. „Steff“, wie sie ihn nennen, sei ein richtig cooler Lehrer. „Er hat uns selbstständige Erfahrungen machen lassen und dadurch die Chance gegeben, selbst herauszufinden, wie cool Imkerei ist und wie viel Spaß es macht, mit den Bienen zu arbeiten“, berichtet Annika. Doch es kommt sogar noch besser: Eines Tages fragt er die beiden, ob sie sich vorstellen könnten, die Imkerei zu übernehmen. Im ersten Moment zögern sie. Können sie das schaffen? „Gleichzeitig war es auch total schön, dass Steff offenbar so viel Potenzial in uns gesehen und uns das zugetraut hat“, meint Annika. Und so sagen sie zu.
Unter Steffs Anweisung lernen sie nun noch mal intensiver, wie Bienen als Wirtschaftsvolk – also mit besonderem Fokus auf die Honigproduktion – betreut werden. „In der ersten Saison wurden wir mit einigen Themen konfrontiert, die wir vorher noch nicht kannten“, erzählt Annika. „Imkerei ist schon was Komplexes. Etwa ein Drittel macht die Arbeit an den Bienen aus, ein Drittel ist die Vermarktung und ein Drittel Logistik.“ Beide sind froh, dass Steff als Berater für sie da ist – bis heute. Inzwischen zieht er sich immer mehr zurück und konzentriert sich vor allem auf pädagogische Aspekte: Er leitet eine Bienen AG und führt Kindergruppen durch den Bienengarten.
In den Verantwortungsbereich von Filip und Annika fällt nicht nur der Bienengarten. Sie betreuen noch weitere Bienenvolk-Standorte, wie den auf dem Dach des Darmstadtiums, den Wanderstandort im Westwald, den Schaukasten in der Klause und noch einige mehr.
Die Jahresuhr der Imkerei
Januar, Februar, März, April – die Jahresuhr der Imkerei steht niemals still. Dabei bringt jede Jahreszeit ihre eigenen Aufgaben mit sich. Im Frühjahr vor Saisonbeginn bereiten Filip und Annika das Material für die Beuten, die künstlichen Behausungen für die Bienenvölker, vor. Im April blüht schon so viel, dass die Bienen genug Vorräte sammeln können und die Völker wachsen. Jetzt beginnt die Schwarmperiode. Schwärmen, das ist der Moment, wenn ein Volk sich aufteilt, weil es zu groß wird. Die Bienenkönigin verlässt dann mit einem Teil des Volkes den Stock und sucht sich einen neuen Wohnort, während im verbleibenden Stock eine neue Königin schlüpft. Das Schwärmen ist ein ganz natürlicher Prozess für die Bienen, für Imker:innen jedoch ein Alptraum. Schließlich verlieren sie dabei einen großen Teil ihrer Bienen. Es gilt daher, das Schwärmen unbedingt zu verhindern. Zum Beispiel, indem in den Beuten mehr Brutraum für die Bienen geschaffen wird. Während der Schwarmzeit müssen Filip und Annika regelmäßig all ihre Standorte überprüfen, um festzustellen, ob die Bienen schwärmen wollen. Zur Hochsaison, der Zeit der Honigproduktion, gibt es am meisten zu tun. In dieser Zeit pflegen Filip und Annika die Völker, ernten und schleudern den Honig, füllen ihn ab und verkaufen ihn auf Märkten.
Von Bienen gestochen werden sie dabei auch. Im Schnitt etwa zwei Mal an jedem Tag, an dem sie an den Völkern arbeiten. Besonders Filip steckt die Stiche gut weg: „Ich bin vielleicht mittlerweile so viel gestochen worden, dass es egal ist. Ich habe gestern ein paar Stiche abgekriegt, die sind heute schon gar nicht mehr da. Bei jemand anderem würden die noch drei Tage jucken.“
Nach der Sommersonnenwende endet die Schwarmzeit und auch die Blütezeit geht langsam zu Ende. Es gibt weniger Futter und die Bienenvölker werden wieder kleiner. Nun konzentrieren sich Filip und Annika auf die Behandlung ihrer Völker gegen die schädliche Varroa-Milbe. Je kälter es wird, desto weniger haben sie noch mit den Bienen zu tun, die im Stock überwintern. In dieser Zeit liegt der Fokus auf der Vermarktung des Honigs. Und dann, und dann … geht das Ganze wieder von vorne los!
Flüssiges Glück
Mit ihrer Haltungsform können Filip und Annika etwa 20 Kilogramm Honig pro Volk und Jahr ernten. 2025 könne es sogar etwas mehr werden, weil es drei statt sonst zwei Erntezeitpunkte gebe. Das sei etwas Besonderes, erklärt Filip, und einer Kombination aus guten Wetterbedingungen sowie der Rubinie zu verdanken. Während andere Bäume kontinuierlich Nektar produzieren, tut diese es nur einmal im Jahr. Damit die Bienen in diesem kurzen Zeitraum ihren Nektar sammeln können, muss das Wetter stimmen. In diesem Jahr sei das der Fall gewesen, sodass Filip und Annika bereits Rubinienhonig ernten konnten. Bekannter ist diese Honigsorte unter dem Namen „Akazienhonig“, weil die Rubine auch „Scheinakazie“ genannt wird. Es handle sich dabei um eine besonders milde Honigsorte, sagt Annika, die aufgrund ihrer Zuckerstruktur am längsten flüssig bleibt.
Ein Lebensmittel aus Sonnenenergie
Einigen Menschen fehle der Blick dafür, wie viel Zeit und Arbeit in ein Glas Honig fließen. Steigende Material- und Zuckerkosten wirken sich auch auf den Honigpreis aus, denn mit Zuckermasse werden die Bienen bei Bedarf zugefüttert. Filip und Annika haben eine große Wertschätzung für ihr Produkt. „Honig ist ein superkonzentriertes Lebensmittel“, sagt Filip, „dahinter steckt eigentlich Sonnenenergie, die Pflanzen assimilieren, aus denen Bienen den Nektar gewinnen.“ Mittlerweile seien die beiden zu richtigen Honig-Feinschmeckern geworden. Laut Filip ist er am besten, „wenn er warm ist und direkt aus dem Volk kommt.“ Im Urlaub probieren sie gerne unbekannte Honigsorten. Wenn irgendwo Majoran oder Oregano wachse, schmecke man das. „Honig ist der Geschmack von Landschaften“, sagt Annika.
Schwärmen vom Schwärmen
Während Imker:innen das Schwärmen ihrer Bienen heute unbedingt verhindern wollen, sei man früher sogar darauf angewiesen gewesen, erklärt Annika. Es war die einzige Möglichkeit, ein Volk zu vermehren. Heute können Imker Teile eines Volkes entnehmen und es dadurch vergrößern, doch früher verwendete man Beuten aus Stroh, die man nicht öffnen und erweitern konnte. In der Schwarmzeit stellten Imker daher leere Strohbeuten neben den bewohnten auf und hofften, dass der abgehende Schwarm sich direkt darin niederlassen würde. Die Imkerei hat in den letzten hundert Jahren also jede Menge Entwicklung hinter sich gebracht. Ein historisches Imkerrecht ist jedoch geblieben: Imker:innen dürfen einen abgehenden Bienenschwarm verfolgen, um ihn wieder einzufangen – und zwar über fremde Grundstücksgrenzen und Zäune hinweg. In der Regel beschwere sich darüber jedoch ohnehin keiner und die meisten seien froh, den Bienenschwarm in ihrem Garten wieder loszuwerden. Wenn sie das perfekte Einfang-Equipment nicht bei sich haben, müssen sie schon mal kreativ werden. „Wir improvisieren mit allem, was wir gerade da haben“, erklärt Filip, „du kannst einen Schwarm mit einem Eimer fangen, aber zur Not muss auch schon mal ein Hemd reichen.“
Auch wenn es verhindert werden muss, sei das Schwärmen ein „wunderschöner Anblick“, berichten die beiden. „Das ist so ein riesiger Organismus, so groß wie ein Baum“, beschreibt Annika den Vorgang. „Einmal hatten wir hier einen im Garten. Das war total faszinierend. Das Summen war wahnsinnig laut, wie eine Autobahn. Stück für Stück sammelt sich diese Riesenmasse an Bienen. Wenn alle angekommen sind, wird es plötzlich ganz leise. Und dann setzt sich der ganze Schwarm auf einmal in Bewegung.“ Einen Bienenschwarm zu beobachten, sei ein besonderes Erlebnis und eine „ganz friedliche Geschichte“, da die Bienen in diesem Moment kein Heim zu verteidigen hätten.
Von der Liebe zur Arbeit
Eins wird im Gespräch mit Filip und Annika deutlich: Die beiden lieben ihre Arbeit. Die Orientierung an den Abläufen, die die Natur vorgibt, das Draußensein in ihrem Bienengartenidyll. Im Hochsommer seien hier sogar Gottesanbeterinnen anzutreffen, erzählt Filip. Die Imkerei werde nie langweilig, weil man jedes Jahr etwas Neues dazulerne, sich immer wieder auf neue Umstände einstellen müsse. Gerade der Klimawandel bringe durch die Extremwetter Veränderungen mit sich, auf die es immer wieder neu zu reagieren gelte. Während Filip als Vollerwerbsimker tätig ist, arbeitet Annika zusätzlich in der Verkehrsplanung, damit sie nicht vollständig abhängig von Umwelteinflüssen sind. Wenn sie einen Aspekt nennen müssten, der ihnen an ihrer Arbeit weniger gefällt, dann wäre es wohl die Bürokratie. Es gibt jede Menge Vorschriften, Nachweispflichten und ein bestimmtes Steuerrecht, das speziell für den Imkerberuf gilt und sehr kompliziert ist.
Seitdem Annika und Filip Eltern geworden sind, kommt die Freizeit manchmal ein bisschen kurz. Wenn sie doch mal Zeit haben, sitzen sie gerne im Café, gehen Eis essen oder spielen Karten. „In einer Idealwelt“, sagt Annika, „wären wir oft auf der Rosenhöhe, würden dort auf einer Wiese sitzen und frühstücken. Am liebsten den ganzen Tag.“
Imkerei am Bürgerpark
Wer sich für die Imkerei interessiert, aber erst mal vorsichtig einsteigen möchte, kann in der Imkerei am Bürgerpark eine Patenschaft für ein Bienenvolk übernehmen. Den Honig von Filip und Anika gibt’s im Weltladen, im Teehaus am Riegerplatz, im Arche Biomarkt in der Dieburger Straße oder direkt zum Verspeisen im Café Bellevue.
Um die Honigbienen kümmern sich Filip und Annika, aber den Darmstädter Wildbienen macht der Klimawandel zu schaffen! Darüber, wie sich bienenfreundliche Balkone oder Gärten gestalten lassen und wie ein gutes Bienenhotel aussehen muss, informieren die Webseiten von BUND und NABU.
















